Stellungnahme "Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft"

Stellungnahme Nr. 2/2020 des Gesetzgebungsausschusses des Deutsche Strafverteidiger e.V. zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Justiz und Verbraucherschutz für ein „Gesetz zur Stärkung der Integrität in der Wirtschaft“ (Gesetz zur Sanktionierung von verbandsbezogenen Straftaten)

Mitglieder

RA Björn Krug, LL.M., Berlin / Frankfurt a.M. (Vorsitzender, Vorstandsmitglied, Berichterstatter)
RA Dr. Christian Fröba, München
RA Raban Funk, Stolzenau (Vorstandsmitglied)
RA Eerke Pannenborg, LL.M., Dortmund
RA Dr. Christian Rathgeber, Mag. rer. publ., Mainz (Berichterstatter)
RA Dr. Christian Schmitz, Köln (Berichterstatter)
RA Dr. Christian Schoop, Frankfurt a.M. (Vorsitzender des Vorstands, Berichterstatter)
RAin Stefanie Schott, Darmstadt / Frankfurt a.M. (Vorstandsmitglied, Berichterstatterin)
RA Dr. Karl Sidhu, LL.M., München (Vorstandsmitglied)
RA Dr. Patrick Teubner, Berlin (Vorstandsmitglied, Berichterstatter)
RA Marcus Traut, Wiesbaden / Würzburg

Beirat

RA Prof. Dr. René Börner, Potsdam
RiOLG Prof. Dr. Matthias Jahn, Frankfurt a.M. (Berichterstatter)
Prof. Dr. Nina Nestler, Bayreuth
Prof. Dr. Frank Schuster, Würzburg (Berichterstatter)

Vorbemerkung

Der Deutsche Strafverteidiger e.V. begrüßt, dass für Unternehmen (nachfolgend synonym verwendet mit „Verband“) ein Prozessrecht geschaffen werden soll, welches die Fragen der Verfolgung und der Rechte von Unternehmen im Fall unternehmensbezogener Kriminalität einheitlich regelt. Anzumerken sind jedoch folgende neun Punkte, die nachgehend im Einzelnen erörtert werden:

Erstens stellt sich die Frage, ob bereits der Zeitpunkt zur Vorlage des Entwurfs – inmitten der  größten wirtschaftlichen Krise Deutschlands in den vergangenen 70 Jahren, deren Ausmaß und Ende noch nicht absehbar sind – der richtige ist. Die Auswirkungen des mit dem Entwurf vorgesehenen Paradigmenwechsel in der Verfolgung und Sanktionierung sind nicht überschaubar und eine Schwächung des Wirtschaftsstandorts Deutschland ist gerade jetzt nicht angezeigt.

Zweitens werden mit dem Übergang zum Legalitätsprinzip – also einer zwingenden Verfolgung ohne Ermessensmöglichkeit – die Ressourcen der bereits jetzt einer die eigene Überlastung beklagenden Strafjustiz weiter ausgereizt.

Drittens wird die Verbandstat, an die angeknüpft werden soll, weitestgehend konturen- und damit schrankenlos definiert. Der Verzicht auf ein subjektives Element, welches dem Strafrecht – und um ein solches handelt es sich zweifelsfrei, auch wenn der Referentenentwurf verbrämt von Sanktionsrecht spricht – innewohnt, ist systemwidrig.

Viertens ist nicht nachzuvollziehen, warum der Verband selbst dann, wenn er vollständig kooperiert, nur ermessensabhängig in den Genuss einer Milderung kommen „soll“. Richtig ist es, dass er dann in den Genuss dieser Milderung zu kommen „hat“, denn sonst droht erneut eine ungleiche Rechtsanwendung, die den Gesetzgeber nach Auffassung des BMJV gerade zu der Neuregelung motivieren soll.

Fünftens ist nicht nachzuvollziehen, warum dem Verband kein – dem Steuerstraf- und Steuerordnungswidrigkeitenrecht nachgebildetes – Instrument zur Selbstanzeige und einer damit zu erlangenden Straf- bzw. Sanktionsfreiheit eingeräumt werden soll. Hiermit würde die Rückkehr zur Rechtstreue gestärkt.

Sechstens lässt sich der Ausschluss des Verteidigers des Verbands bei einer – berücksichtigungsfähigen – internen Aufklärung sachlich nicht rechtfertigen. Hierzu ist bereits die Begrün-dung des Referentenentwurfs in sich widersprüchlich. Vor allem aber sind mögliche Konflikte durch das Straf- und Berufsrecht geregelt. Eine davon abweichende Regelung im geplanten Gesetz würde am falschen Standort erfolgen und wäre systemwidrig.

Siebentens erscheint die vorgesehene Sanktionierungshöhe vor den verfassungsrechtlichen Anforderungen unbestimmt und unverhältnismäßig. Da mit der Einziehung dem Unternehmen ohnehin sämtliche Vermögensvorteile unter Anwendung des Bruttoprinzips entzogen werden (können), ist die Notwendigkeit einer additiven umsatzbasierten Sanktionierung nicht ersicht-lich. Einem Unternehmen, das bspw. einen hohen Umsatz, aber keinen Gewinn macht, eine rein umsatzbasierte Strafe bzw. Sanktion aufzuerlegen, ist nicht nachzuvollziehen. Dies gilt erst recht, wenn die handelnden Individalbeschuldigten ebenfalls verfolgt und bestraft werden.

Achtens überzeugt der Wegfall eines Beschlagnahmeschutzes für anwaltliche Unterlagen, die im Rahmen der internen Untersuchung gefertigt werden, nicht. Zu den elementaren Rechten im Strafverfahren gehört das Recht, zum Vorwurf zu schweigen, um nicht selbst an der eige-nen Überführung mitwirken zu müssen; dieses Recht steht richtigerweise auch dem beschul-digten Verband zu. Es gebietet den Schutz vor staatlicher Beschlagnahme von Unterlagen, die die Verteidigung betreffen – und hierzu gehören auch Unterlagen zu den Ergebnissen interner Untersuchungen. Mit dem Ziel, die schriftliche Dokumentation der anwaltlichen Beratung au-ßerhalb eines konkreten Beschuldigtenverhältnisses – und somit auch im unmittelbaren Vor-feld eines solchen Beschuldigtenverhältnisses – generell der Beschlagnahme auszusetzen, würde in Deutschland eine in der europäischen Union einmalige, schlechtere Rechtslage geschaffen.

Neuntens lässt der Referentenentwurf – trotz des durch ihn ausgelösten faktischen Zwangs zur internen Aufklärung und Kooperation mit den Ermittlungsbehörden – ausgerechnet die dabei stets auftretenden Rechtsfragen insb. zum Datenschutz (so ist die elektronische Auswertung von Unterlagen im Rahmen einer Internal Investigation unter dem Regelungsregime des BDSG und der DS-GVO mit hohen Hürden und damit Risiken verbunden) und zum Arbeitsrecht (wenn es um die Auflösung des Konflikts zwischen der arbeitsrechtlichen Mitwirkungspflicht befragter Mitarbeiter einerseits und deren strafprozessualem Schweigerecht andererseits geht) außer Betracht.